Wo Genossenschaft draufsteht, sollte auch Genossenschaft drin sein
Fusion und Sorgfaltspflicht des Vorstands

Im Jahr 2017 wurde § 34 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz (GenG), der die Sorgfaltspflicht und die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder regelt, um einen zusätzlichen Satz erweitert, der wie folgt lautet:
„Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Genossenschaft zu handeln.

Der Umkehrschluss dazu lautet, dass eine Pflichtverletzung vorliegt, wenn das Vorstandsmitglied nicht zum Wohle der Genossenschaft handelt.
Das Wohl der Genossenschaft ist gleichzusetzen mit dem Wohl der Mitglieder, denn § 1 Abs. 1 GenG legt der Genossenschaft nur einen einzigen Zweck auf,
die Förderung ihrer eigenen Mitglieder.
Und so ist es auch in der Satzung jeder Volks- und Raiffeisenbank geregelt, dass
einziger Zweck einer Genossenschaft die wirtschaftliche Förderung und Betreuung der Mitglieder ist.

Wie die Bundesregierung diesen einzigen Auftrag einer Genossenschaft definiert hat, geht aus Bundestagsdrucksache V3500 vom November 1968 hervor. Nämlich: „
diese Förderung hat sich im Wege unmittelbar gewährter Sach- und Dienstleistungen zu vollziehen, so daß sich für die Genossenschaften die Gewinnmaximierung als tragende Zielvorstellung der Geschäftspolitik verbietet. Damit unterscheiden sich die Kreditgenossenschaften grundsätzlich von den übrigen privatrechtlichen Kreditinstituten.“

Die Geschäftsordnung des Vorstands einer Volks- und Raiffeisenbank, die jeder Vorstand zu Beginn seiner Vorstandstätigkeit zu unterzeichnen hat, bringt es ebenso auf den Punkt:
„Im Vordergrund aller Aktivitäten und Entscheidungen des Vorstands steht die nachhaltige Förderung der Mitglieder

Das Wohl der Genossenschaft ist demnach gleichzusetzen mit dem Wohl der Mitglieder der Genossenschaft.

Beachtet der Vorstand einer Volk- oder Raiffeisenbank der beabsichtigt,
  • das Bankgeschäft zusammen mit der ihm anvertrauten Genossenschaft mittels Vermögensübergabe als Ganzes an eine fremde Genossenschaft zu übertragen
  • ohne jegliche finanzielle Entschädigung der Mitglieder
  • und dabei bewusst in Kauf nimmt, dass die ihm anvertraute Genossenschaft aufgelöst wird
das Treue- und Loyalitätsgebot, das ihn als geschäftsführendes Mitglied verpflichtet, alles zu unterlassen, was den Interessen seiner Mitgesellschafter (Mitglieder) und der eigenen Genossenschaft schaden könnte?

Handelt der Vorstand einer Volks- oder Raiffeisenbank zum Wohl der eigenen Genossenschaft und deren Mitglieder,
  • wenn er durch Abschluss eines Verschmelzungsvertrages in Kauf nimmt, dass die eigene Genossenschaft nach der Verschmelzung erlischt und im Genossenschaftsregister gelöscht wird, anstatt eine Möglichkeit zu wählen, welche die Existenz der Genossenschaft sichert?

Handelt der Vorstand einer Volks- oder Raiffeisenbank zum Wohl der eigenen Genossenschaft und deren Mitglieder,
  • wenn er vorab einen Vertrag unterzeichnet, mit dem das Bankgeschäft und gesamter Besitz und Vermögen der Genossenschaft in das Eigentum einer anderen Genossenschaft transferiert werden soll,
ohne vorher einen eindeutigen Beschluss der Mitgliederversammlung herbeizuführen, welche der Möglichkeiten des Umwandlungsgesetzes die Anteilseigner (Mitglieder) der Genossenschaft als für die für sie beste Möglichkeit ansehen und durchgeführt haben wollen?

Handelt der Vorstand einer Volks- oder Raiffeisenbank zum Wohl der eigenen Genossenschaft und deren Mitglieder
  • wenn er Alternativen des Umwandlungsgesetzes verschweigt, die trotz Übertragung des Bankgeschäfts die Existenz der eigenen Genossenschaft zusammen mit deren Mitgliedern nebst Geschäftsguthaben und Vermögen sichert?

Handelt der Vorstand einer Volks- oder Raiffeisenbank zum Wohl der eigenen Genossenschaft und deren Mitglieder
  • wenn er die Mitglieder zu einer Fusionsentscheidung führt, die diese im Wissen um andere, mitgliederfreundlichere Alternativen nicht getroffen hätten?

Handelt der Vorstand einer Volks- oder Raiffeisenbank zum Wohl der eigenen Genossenschaft und deren Mitglieder,
  • wenn er durch eine von ihm angestoßene Verschmelzung später bei der übernehmenden Genossenschaft erheblich mehr Geld verdient als vorher?

Die eingangs erwähnte Gesetzesbestimmung des § 34 Absatz 1 Satz 2 GenG lautet im Umkehrschluss: Eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung wusste, nicht zum Wohle der Genossenschaft und deren Mitglieder zu handeln.

§ 25 Umwandlungsgesetz regelt (mit einer Verjährungsfrist von 5 Jahren) die Schadenersatzpflicht der Verwaltungsträger der übertragenden Rechtsträger
(1) Die Mitglieder des Vertretungsorgans und, wenn ein Aufsichtsorgan vorhanden ist, des Aufsichtsorgans eines übertragenden Rechtsträgers sind als Gesamtschuldner zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den dieser Rechtsträger, seine Anteilsinhaber oder seine Gläubiger durch die Verschmelzung erleiden. Mitglieder der Organe, die bei der Prüfung der Vermögenslage der Rechtsträger und beim Abschluß des Verschmelzungsvertrags ihre Sorgfaltspflicht beobachtet haben, sind von der Ersatzpflicht befreit.


Und hierzu erhebt sich noch die abschließende Frage:

Ist durch den Abschluss des Verschmelzungsvertrages der übertragenden Genossenschaft und deren Anteilsinhaber ein Schaden entstanden?
Tatsache ist: Nach Beschluss zur Verschmelzung wird die übertragende Genossenschaft aufgelöst, die Mitglieder werden nicht an deren Vermögen beteiligt.
Solange die Mitglieder über alle weiteren Alternativen zur Verschmelzung vollumfänglich und in allen Einzelheiten informiert wurden und sich dann mit einer Dreiviertelmehrheit trotzdem für eine Verschmelzung mittels Vermögensübergabe als Ganzes ohne jegliche Entschädigung für sich als Anteilsinhaber entschieden haben, kann niemand etwas dagegen haben, denn dann war es eine demokratische Entscheidung.

Aber wie sieht es aus, wenn die Mitglieder
nicht über mitgliederfreundliche und Genossenschaftserhaltende Alternativen informiert wurden und deshalb eine Entscheidung trafen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.

Georg Scheumann
genossenschaftlicher Bankbetriebswirt
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